Entscheidend in der Smart-Factory: Wie synchron ist die Zeit der smarten Systeme?

Eigentlich klingt es ganz einfach: In einer smarten Produktion arbeiten alle Maschinen vernetzt. Sensordaten werden zusammengeführt, um daraus die Steuerung der Maschinen abzuleiten und die Qualität zu kontrollieren. Doch wie aktuell sind die einzelnen Sensordaten? Warum werden Sensordaten erst zusammengeführt und dann ausgewertet und nicht direkt weiter verwertet? Fakt ist – werden bei der Auswertung Fehler gemacht, kann das teuer oder sogar gefährlich werden. Wie lässt sich das Problem lösen?

Das Problem ist nicht neu. Schon bei der Einführung der Eisenbahn wurde es offensichtlich: Wenn die Zeit in einem Netz nicht hinreichend genau und überall gleich definiert ist, führt das zu Missverständnissen und Fehlern. Damals verwendeten die vielen kleinen Staaten auf dem Gebiet Deutschlands ihre eigenen Ortszeiten. So gab es größere Uhrzeitdifferenzen zwischen Berlin und Köln, zwischen Dresden und Düsseldorf, zwischen München und Stuttgart. Wer mit der Bahn reiste, musste selbst bei kürzeren Fahrten seine Uhr auf die gültige Ortszeit umstellen – sonst hätte er möglicherweise seinen Anschlusszug oder seine Verabredung verpasst.

In Netzwerken ist die Zeitdefinition von großer Bedeutung. Das hat sich von damals bis heute nicht geändert. Allerdings hat sich, je nach Anwendung, die Fehlertoleranz ganz wesentlich reduziert: Gilt bei der Deutschen Bahn heute ein Zug noch als pünktlich, wenn er weniger als sechs Minuten zu spät ankommt, zählen in IT- und Telekommunikationsnetzen Zeitdifferenzen von nur wenigen Millisekunden als akzeptabel. Das Mobilfunknetz der 5. Generation, das häufig als Voraussetzung für die Vernetzung von autonom fahrenden Autos angesehen wird, bietet Verzögerungszeiten, sogenannte Latenzen, von weniger als zehn Millisekunden. Damit sollen schnelle Reaktionen der computergesteuerten Fahrzeuge möglich werden, die Unfälle weitestgehend verhindern. Ähnliche Anforderungen gelten für Produktionsnetzwerke: Wenn eine Maschine auf das Ergebnis einer anderen angewiesen ist, wenn Fehlproduktionen schnell erkannt und unmittelbar korrigiert werden sollen, müssen die Laufzeiten der Daten in der Smart-Factory möglichst kurz sein – und deren Auswertung muss zeitlich präzise zusammenpassen.

Vernetzungstechnologien von Ethernet bis 5G-Campusnetz

Doch diese Gleichzeitigkeit ist in einem Produktionsnetzwerk nicht so einfach herzustellen. Sensoren und Aktoren in den vielen Maschinen unterschiedlicher Hersteller können mit unterschiedlicher Netzwerktechnik ausgestattet sein. Ethernet, WLAN, private Mobilfunknetze als lokale Campuslösung oder das öffentliche Mobilfunknetz – eine ganze Reihe an verschiedenen Lösungen können Maschinen miteinander vernetzen.

5G-Campusnetze gewinnen im Bereich Produktion an Bedeutung: 5G kann als erste der drahtlosen Technologien Garantien für die unterschiedliche Qualität von Verbindungen übernehmen, und das dynamisch und selbst bei Bewegung. Dadurch können große Teile der Produktionstechnik ohne teure und unflexible kabelgebundene Vernetzung miteinander verbunden werden. „Und wenn ein Campusnetz erst einmal besteht, ergeben sich schnell weitere Anwendungsfälle“, weiß Frank Schmidt-Küntzel, Business Owner Campus Networks bei Telefónica Germany. „So lassen sich in einem Campusnetz relativ einfach Sensoren oder hochauflösende Kameras zur Diagnose für die Instandhaltung schneller und unkomplizierter nachrüsten. In der Logistik geht es eher um die nächste Generation autonom fahrender Transporter und Roboter, sogenannte AGV (Autonomous Guided Vehicles) und AMR (Autonomous Mobile Robots), sowie um die Automatisierung der Inventarisierung.“

In den meisten Fabriken werden allerdings, zumindest auf absehbare Zeit, unterschiedliche Vernetzungstechnologien kombiniert. Für die zeitliche Abstimmung der Daten, die in einer vernetzten Produktion gesammelt werden, bringt das eine zusätzliche Herausforderung: Zur spezifischen Latenz, der Übermittlungsverzögerung, in jedem einzelnen Netz einer bestimmten Technologie gesellt sich das Problem, dass die verschiedenen Netze nicht synchronisiert sind.

Am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie (IPT) beschäftigen sich Wissenschaftler und Techniker intensiv mit den Herausforderungen der Smart Factory, auch mit dem Zeitproblem. Hier ist mit dem 5G-Industry Campus Europe eine viel beachtete Installation entstanden, auf der die Möglichkeiten des 5G-Mobilfunkstandards für die industrielle Fertigung erforscht und erprobt werden. „Grundsätzlich bietet 5G mit seiner geringen Latenz sehr gute Voraussetzungen für den Einsatz in der Produktion“, sagt Niels König, Abteilungsleiter Produktionsmesstechnik. „Wenn beispielsweise in einem Fräswerkzeug etwas bricht, muss man sofort reagieren. 5G ermöglicht solch schnelle Reaktionen.“ Außer einer passenden Netzwerktechnik ermöglicht grundsätzlich auch Edge-Computing schnelle Reaktionen: Statt Daten an einen Server zu senden, dort zu analysieren und daraus resultierend Steuerungsbefehle an die Maschine zu senden – in einem Prozess, der zwangsläufig Zeit erfordert –, werden hierbei Daten gleich vor Ort erfasst, analysiert und zur Steuerung der Maschine verwendet.

Synchronisation erforderlich

Das ermöglicht zwar schnelle Reaktionen, doch das Problem unterschiedlicher Netzwerktechnologien nebeneinander zeitlich zu synchronisieren, lässt sich so nicht lösen. „Wenn wir beispielsweise den digitalen Zwilling einer Fabrik erstellen wollen, müssen wir die Daten aus unterschiedlichen Datenquellen wie beispielsweise Sensoren oder Werkzeugmaschinen zeitlich perfekt abstimmen, egal über welche Technologie die Daten übertragen wurden“, erklärt König. „Alle Daten müssen deshalb einen Zeitstempel bekommen, der sich auch wirklich an allen Quellen auf dieselbe Zeit bezieht.“ Die Lösung für die zeitliche Synchronisation: ein gemeinsames Netzwerk, über das allein die Uhrzeit an allen beteiligten Endpunkten festgelegt wird.

Das Schweizer Unternehmen u-blox hat dafür ein Modul entwickelt, über das ein Mobilfunknetz zur Synchronisation genutzt werden kann. „Ein LTE- oder 5G-Netz muss perfekt synchronisiert sein, damit es funktioniert und beispielsweise Telefongespräche von einer Basisstation an die nächste übergeben kann“, erklärt Ludger Böggering, Senior Principal Application Marketing bei u-blox. „Aufgrund des eigenen Chipsatzes haben wir vollen Zugriff auf alle Ebenen des Systems, sodass wir in der Lage sind, eine hochpräzise Zeitinformation bereitzustellen. Alle Geräte, die damit ausgestattet werden und Verbindung zum entsprechenden Mobilfunknetz haben, können so zeitlich perfekt abgestimmt werden.“ Der besondere Clou dieser Lösung: Mit dem entsprechenden Mobilfunknetz ist die Synchronisation sowohl lokal, also auf kurzen Entfernungen, sowie über große Entfernungen umsetzbar. Auf dem 5G-Industry Campus Europe am Fraunhofer IPT in Aachen sorgt das LTE-M-Netz von Telefónica dafür, dass die Maschinen und ihre Daten synchronisiert werden.

Hochpräzise

„Das System aus Maschine, unseren Mobilfunkmodulen und dem Mobilfunknetz von Telefónica funktioniert nicht nur auf einem überschaubaren Campus, sondern kann beispielsweise auch Energieerzeuger und -verbraucher synchronisieren“, sagt Böggering. Die hochpräzise Zeitsynchronisation kann auch zum Aufdecken von Leckagen in einem Rohrleitungssystem eingesetzt werden: Hochempfindliche Mikrofone zum Beispiel können im Abstand von vielleicht einem Kilometer das Wasserrauschen an unterirdisch verlegten Rohren abhören. Je präziser die beiden Mikrofone miteinander synchronisiert sind, desto genauer lässt sich die Stelle der Leckage ermitteln. „Hierbei kommt es auf wenige Zentimeter an – denn man will ja nicht die Straße auf zehn Meter Länge aufreißen, nur weil ein kleines Loch geflickt werden muss“, erklärt Böggering. Die Technik von u-blox in Verbindung mit dem Telefónica-Netz ermöglicht eine Synchronisation bis auf Mikrosekunden genau.

„Im Rahmen des EU-Projekt 5G-SMART, in dem wir mit mehreren Partner Lösungen von 5G für industrielle Anwendungen entwickeln, kam bei uns die Frage auf, wie wir die Daten eines 5G-Sensors für die Prozessüberwachung beim Fräsen mit den Positionsdaten der Fräsmaschine, die über Ethernet vernetzt ist, fusionieren können. Es war naheliegend, die Lösung von u-blox in den Sensor zu integrieren und gleichzeitig ein kompaktes Stand-alone-System für die Maschine zu entwickeln. Obwohl dies zunächst als Workaround gedacht war, haben wir schnell erkannt, dass diese Lösung überall sinnvoll ist, wo eine Synchronisationslösung zum Beispiel über GPS nicht zur Verfügung steht oder im Falle von Time Sensitive Networking (TSN) zu aufwendig ist. Die Lösung funktioniert überall dort, wo man LTE-M Empfang hat. Durch den sehr genauen Zeitstempel können wir selbst in Fällen mit höherer Latenz wie im öffentlichen 4G- und 5G-Netz quasi-echtzeitfähige Anwendungen umsetzen. Das ist eine drastische Erhöhung des Nutzwerts öffentlicher Netze für industrielle Anwendungen“, gibt sich Niels König überzeugt. „Wir stehen für Anfragen gerne bereit und sind gespannt, welche neuen Applikationen noch von der Synchronisation profitieren können.“

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