Als Amazon 2013 unter großem Medienecho ankündigte, Pakete demnächst per Drohne an seine Kund:innen ausliefern zu wollen, schien das Zeitalter der kommerziellen Quadcopter-Zustellung zum Greifen nahe. Tatsächlich sind die hochfliegenden Pläne des Online-Kaufhauses noch nicht über den Probebetrieb hinausgekommen. Ist der Drohnen-Einsatz in der Logistik damit Geschichte? Im Gegenteil.
Eine Tüte Chips und ein Fire-TV-Stick waren die ersten Waren, die Amazon 2016 einem Besteller in der Nähe der britischen Universitätsstadt Cambridge probeweise per Drohne nach Hause lieferte. Noch können Kunden des Internet-Händlers regulär keine Zustellung aus der Luft beauftragen. Aber der Beweis war erbracht: Logistik-Drohnen sind längst mehr als nur ein Gedankenexperiment.
So schätzt etwa das Marktforschungsunternehmen Gartner den weltweiten Bestand gewerblich genutzter Drohnen im Jahr 2020 auf rund eine halbe Million. Das wäre eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr. Für den deutschen Markt erwarten der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) und der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) allein zwischen 2019 und 2030 eine Verfünffachung der Zahl der Drohnen im gewerblichen Einsatz.
Viele dieser Fluggeräte kommen heute für Fotografie und Vermessung zum Einsatz. Daneben hat aber auch die Logistik früh den Nutzen der Drohnentechnik erkannt und arbeitet bereits in vielen Bereichen mit den smarten Fliegern.
Denn moderne Copter können längst viel mehr, als nur Bilder zu machen oder ferngesteuert kleine Pakete von einem Ort zum anderen zu transportieren. Großtrends wie On Demand Delivery stellen den gesamten Sektor vor neue Herausforderungen und erweisen sich so als Innovationstreiber. Drohnen können dabei helfen, wachsende Kund:innenanforderungen auch in Zukunft zu erfüllen und gleichzeitig Ressourcen für mehr Nachhaltigkeit einzusparen.
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In dieser Folgen von Digitale Vorreiter:innen berichtet die Managerin Melanie Lauer, wie sie als CEO die Traditionsmarke Kettler nach der Insolvenz im Jahr 2019 wieder auf den Markt gebracht hat. Das Unternehmen hatte sich seit vielen Jahren unter anderem als Hersteller von Sportgeräten einen Namen gemacht. Melanie Lauer erklärt, wie dank innovativer Marketing-Ansätze und neuer Produktideen zukünftig wieder Gewinne eingefahren werden sollen. Welche Rolle in diesem Zusammenhang unter anderem ein ehemaliger Produktdesigner von Apple spielt, erfahren Sie in diesem Podcast mit Christoph Burseg.
Drohnen in der Logistik: Welche Aufgabengebiete gibt es?
Expert:innen sehen in der Logistik gleich mehrere Einsatzgebiete für Drohnen. Für einige dieser Szenarien sind bereits erste Lösungen wie die von Amazon entwickelt, für andere gibt es bisher nur Modellprojekte. Die vielversprechendsten Anwendungen sind im Einzelnen:
- Inventur, beispielsweise in Hochregallagern
- Zustellung von Gütern auf der letzten Meile bis zum Kunden
- Transport zwischen Logistikstandorten
- Überwachung von Liegenschaften, bevorzugt von Logistikzentren
- Schwerlasttransport für sperrige Güter oder schwer erreichbare Destinationen
- Personenbeförderung
Inventur mit Drohnen – was heute bereits in der Logistik möglich ist
Hochregale haben sich in der Logistik als effizientes und raumsparendes Lagersystem für eine Vielzahl von Warenarten herausgebildet. Sie kommen besonders dort zum Einsatz, wo kleine Warenmengen und große Artikelvielfalt aufeinandertreffen.
Eine besondere Herausforderung ist hier die gesetzliche Verpflichtung zur jährlichen Inventur. Anders als im Einzelhandel mit seinen meist inventurfreundlich überschaubaren Regalmaßen, erreichen die größten Hochregallager mittlerweile Höhen von bis zu 50 Metern. Auch das Auffinden falsch abgestellter Paletten ist ein wichtiges Thema für die Lagerlogistik. Inventur und Fehlerkorrektur erfordern eine regelmäßige Durchsicht und Kontrolle aller vorhandenen Palettenstellplätze über alle Ebenen.
Unabhängig voneinander haben deshalb der Gabelstapler-Hersteller Linde Material Handling (ehemals Linde plc, heute Kion-Gruppe) sowie Fiege Logistik eigene Drohnen-Lösungen hierfür entwickelt.
Beide Systeme kombinieren Drohnen mit autonomen Laser Guided Vehicles (LGV) oder Automated Guided Vehicles (AGV). Die Fahrzeuge dienen dabei auch zur Stromversorgung der Drohnen. Die Fluggeräte selbst steigen bei der langsamen Durchfahrt durch das gesamte Lager an jeder Regalposition vom Fahrzeug auf und scannen vertikal alle Palettenstellplätze bis unter die Hallendecke.
Hierbei fotografieren die kamerabestückten Drohnen Stellplätze, erfassen zeitgleich sichtbare Barcodes und lesen sie ein. Im Ergebnis kann das Lagerverwaltungssystem (LVS) oder das Warehouse Management System (WMS) alle Paletten-Positionen zwischen Soll und Ist abgleichen. Dank der Koppelung mit den autonomen Fahrzeugen ist die Energieversorgung auch im stundenlangen Betrieb kein Problem mehr. Selbst große Lager können so in nur einem Tag oder einer Nacht komplett abfotografiert und erfasst werden.
Paketzustellung per Logistik-Drohne
In mehreren Pilotprojekten erprobte die Deutsche Post DHL Group bereits den Einsatz ihrer Paketkopter genannten Drohnen auf der letzten Meile hin zu den Endkund:innen. So testete das Unternehmen im Dezember 2013 die Zustellung von Medikamenten zwischen der Unternehmens-Zentrale in Bonn und einem auf der anderen Rheinseite gelegenen Krankenhaus.
Ebenfalls Arzneimittel hat DHL im September 2014 von der Festlandgemeinde Norden zu einer Apotheke auf der Nordseeinsel Juist transportiert. Das Besondere hierbei: Die Zustellung erfolgte automatisiert nach einem festen Flugplan und ohne direkte Sichtverbindung zum Drohnen-Piloten.
In Reit im Winkl prüfte DHL die Kombination eines Paketkopters mit einer Packstation. Im Testbetrieb konnten Endkunden Pakete aufgeben, die auf dem Dach der Paketstation direkt von der Transportdrohne übernommen wurden.
In einem anderen Pilotprojekt in Tansania etablierte DHL die Zustellung von Arzneimitteln von der Stadt Mwanza zu einem Krankenhaus auf der Insel Ukerewe im Victoriasee über eine Distanz von 60 km. Hier kam bereits die vierte Version der von der Firma Wingcopter entwickelten Drohne zum Einsatz. Tragfähigkeit: rund 5 kg.
Drohnen als Labor-Kuriere
Während die Pilotprojekte bei DHL aktuell ruhen, laufen ähnliche Erprobungen bei der Schweizer Post weiter. Das Unternehmen testet derzeit in mehreren Modellregionen den Transport von Laborproben per Drohne von Krankenhäusern zu Zentrallaboren. Da dies eine zeitkritische Anwendung ist, wurden hierfür bisher Kurierfahrzeuge in Direktfahrt eingesetzt. Die Schweizer Post verspricht sich nun eine weitere Beschleunigung durch den Einsatz von Drohnen: Eine Autofahrt von einer Dreiviertelstunde werde zu einem staufreien Flug von wenigen Minuten, erklärte das Unternehmen.
Große Drohnen-Geschwader koordiniert steuern
Immer mehr Drohnen im Einsatz führen auch zu vermehrten Koordinierungsaufwand: Rund 100 Drohnen gleichzeitig aus einem Leitstand steuern will HHLA-Sky, eine Tochter der Hamburger Hafen und Logistik AG, kurz HHLA. Im Hamburger Hafen sind schon länger Drohnen etwa zur Inspektion von Containerbrücken an den Verladeterminals des Logistikers im Einsatz. Über die selbst entwickelte Software sollen ganze Copter-Flotten koordiniert und außerhalb der Sicht des Piloten fliegen (beyond visual line of sight – BVLOS). Dafür hat das Unternehmen bereits den deutschen Innovationspreis 2021 in der Kategorie Start-up gewonnen.
Drohnen sollen innerbetriebliche Wegstrecken verkürzen
Doch nicht nur im Außenbereich im Hafen erweisen sich die Flieger als nützlich: Drohnen als Teil der innerbetrieblichen Logistikkette erprobt gegenwärtig das Werkzeugmaschinenlabor WZL der Technischen Hochschule Aachen. Dort bringen Transportdrohnen beispielsweise auf Tastendruck Ersatzteile oder Schrauben aus internen Lagerbeständen direkt an einzelne Werkstattarbeitsplätze.
Das Ziel dabei: Mitarbeiter:innen sollen keine Zeit mehr durch den Gang zum Materiallager oder das Suchen von Lagerpositionen verlieren, sondern länger produktiv an ihren eigentlichen Werkstücken arbeiten können. Rüst- und Transportzeiten verkürzen sich so messbar.
Flugtaxis mit schnellen Mobilfunkverbindungen
Besonders wichtig für den Drohnenflug ist die exakte Positionsbestimmung im Raum und eine schnelle Mobilfunk-Verbindung zum Leitstand oder zu anderen bemannten oder unbemannten Luftfahrzeugen. Der chinesische Drohnenhersteller EHang und Vodafone sind deswegen eine Partnerschaft in der Entwicklung von Flugtaxis und Transportdrohnen in Europa eingegangen. Dabei will EHang das Mobilfunknetz von Vodafone zur tragenden Infrastruktur für seine „Urban Air Mobility“ im europäischen Luftraum machen. Entscheidend hierfür sind besonders schnelle Netzkomponenten, wie die im Vodafone Netz vorhandene 5G standalone Technologie. In allen Luftfahrzeugen des Herstellers soll deswegen standardmäßig eine fest verbaute Vodafone SIM-Karte im Internet der Dinge funken.
Die rechtliche Situation – was dürfen Sie mit Drohnen in der Logistik machen?
Eines der größten Hindernisse für den gewerblichen Drohnenflug im Außeneinsatz sind derzeit noch nationale Gesetze, die zahlreiche Überflugverbote und Abstandsregelungen enthalten. So gibt es gerade in dicht besiedelten Regionen weite Schutzzonen rund um Flughäfen, die als sogenannter kontrollierten Luftraum zählen. Im kontrollierten Luftraum überwacht die Flugsicherung jede Flugbewegung. Drohnenflüge sind dort entweder generell verboten oder nur sehr eingeschränkt erlaubt.
Die Deutsche Post DHL Group nannte 2021 regulatorische Auflagen als einen der Gründe dafür, die Paketkopter-Erprobungen vorerst nicht fortzusetzen. So hätte beispielsweise beim Drohnenverkehr auf die Nordseeinsel Juist jeder einzelne Flug bei der Deutschen Flugsicherung (DFS) angemeldet werden müssen.
Auch in den USA musste der Online-Händler Amazon nach seiner Ankündigung von 2013 viele Jahre mit der US-Flugsicherheitsbehörde Federal Aviation Administration (FAA) verhandeln, bevor es 2020 tatsächlich die ersten Genehmigungen für Testflüge mit Prime-Air-Drohnen gab. Der Paketdienst UPS und die Google-Tochter Wind haben ebenfalls entsprechende Genehmigungen der FAA erhalten.
Auch der US-Rettungsdienst Air Methods gab jüngst bekannt, dass er per Drohnenflug zukünftig Arzneimittel zu 300 entlegenen Krankenhäusern in 48 US-Bundesstaaten transportieren möchte. Bisher werden diese Standorte noch mit Helikoptern und Flugzeugen versorgt.
Fernziel der meisten dieser Projekte ist der automatisierte Drohnenflug ohne Sichtverbindung zum Piloten – die Flugsicherung meldet hier gegenwärtig noch Sicherheitsbedenken an. Eine weitere Herausforderung für alle Pilotprojekte: Neben der FAA erlassen in den USA auch Bundesstaaten oder Gemeinden besondere Flugverbote. In Washington und New York beispielsweise dürfen Drohnen generell nicht aufsteigen.
Vieles spricht also dafür, dass der Transport über die letzte Meile zum Endkunden sich langsamer als andere Logistik-Anwendungen für Drohnen entwickeln wird. Hoch sind die gesetzlichen Hürden, die speziell hierbei noch zu überwinden sind.
Wie Sie Drohnen für Ihr Logistik-Business nutzen
Drohnen in der Industrie und besonders in der Logistik sind auf dem Vormarsch. Zwar wird die reguläre Zustellung zu den Endkund:innen über die letzte Meile wohl noch etwas auf sich warten lassen, dafür aber schreitet der Drohneneinsatz in anderen Bereichen voran. Von der Inspektion und Inventur über die Überwachung bis hin zum Transport auf dem eigenen Firmengelände.
Ihre unübertroffenen Flugeigenschaften, ihre enormen Wendigkeit und die sinkenden Herstellungskosten machen den Einsatz von Drohnen stetig interessanter – und das gilt längst nicht mehr nur in großen Unternehmen. Auch der Mittelstand entdeckt täglich neue Einsatzgebiete für die nützlichen Copter.
Was Sie beim gewerblichen Einsatz beachten müssen
Die gesetzlichen Vorgaben für den Drohnenflug auch im gewerblichen Einsatz wurden in Deutschland und der EU zuletzt neu formuliert:
- Drohnen bis zu einem Abfluggewicht von 500 g (ab 2023: 250 g) dürfen auch in der Nähe unbeteiligter Dritter im Außenbereich (Flugkategorie Open/A1) ganz ohne Zertifikat geflogen werden.
- Der sogenannte kleine EU-Drohnenführerschein für Drohnen bis 900 g kann online erworben werden. Der entsprechende Lehrgang vermittelt beispielsweise, wo Drohnen geflogen werden dürfen und wo generelle Flugverbote gelten.
- Für Drohnen mit mehr als 900 g ist in der Regel der sogenannte große EU-Führerschein notwendig.
- Außerdem müssen Drohnen, die eine Kamera an Bord haben oder auf anderem Weg personenbezogene Daten erfassen können, mit den Registrierungsnummern der Pilot:innen beschriftet sein. Diese Nummern können beim Luftfahrt-Bundesamt beantragt werden.
- Im gewerblichen Einsatz wird in der Regel die Auflage erteilt, ein Flugbuch zu führen. Das gibt es zum Beispiel beim Bundesverband Copter Piloten e.V. oder bei Andreas Frank.
- Den Haftpflichtschutz für Drohnen bieten mittlerweile viele Versicherungen an.
Sind die Formalia erledigt, steht dem eigenen Copterflug im Unternehmen oder privat nichts mehr entgegen.
Quelle:
https://www.vodafone.de/business/featured/technologie/drohnen-in-der-logistik-was-heute-schon-moeglich-ist/